Friedrich Merz MdB, Vorsitzender
Bericht des Vorsitzenden zur Sitzung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag am 27. September 2022
1. Kernbotschaften der Woche
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der vergangenen Woche sein Urteil zum deutschen Gesetz über Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsverkehrsdaten verkündet. Unsere Forderung nach einer IP-Adress-Speicherung zur Sicherung digitaler Beweismittel wurde vom Gerichtshof ausdrücklich für zulässig erklärt. IP-Adressen sind als digitale Beweismittel gerade bei der Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs im Internet unabdingbar. Ohne Speicherpflicht sind diese digitalen Beweise – wenn eine Tat auffällt – vielfach gelöscht und die IP-Adresse kann keiner konkreten Person mehr zugeordnet werden. In den vergangenen fünf Jahren war das bei mehr als 19.000 Hinweisen der Fall. Das ist ein unerträglicher Zustand. Kinderschutz muss endlich Vorrang vor Datenschutz haben. In unserem Antrag IP-Adressen rechtssicher speichern und Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen fordern wir: Bundeskanzler Scholz muss jetzt den Streit im Kabinett beenden und dafür sorgen, dass schnell eine rechtssichere Regelung zur Speicherung von IP-Adressen auf den Weg gebracht wird. Dabei soll der laut EuGH zulässige Spielraum ausgeschöpft werden – zum Schutz der Kinder und Jugendlichen.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist der wichtigste Anker für finanzielle Nachhaltigkeit in der Europäischen Union. Um seine Funktionen erfüllen zu können, muss der Pakt durch den laufenden Reformprozess durchsetzungsfähiger werden. Unsere Vorstellungen dafür legen wir in unserem Antrag Stabilitätsunion statt Schuldenunion – Stabilitäts- und Wachstumspakt festigen, fiskalpolitische Disziplin in Europa sichern vor: Der Pakt muss auf wenige Grundregeln verschlankt werden, ohne dabei die EU-Fiskalregeln zu verwässern. Für uns ist unabdingbar, dass das 60 %-Ziel zur Staatsschuldenquote sowie das 3 %-Ziel zur jährlichen Neuverschuldung erhalten bleibt. Auch die Zielsetzung eines verbindlichen Schuldenabbaus muss Bestand haben. Zusätzlich sind die Flexibilitätsklauseln klar auf Naturkatastrophen und extreme Wirtschaftskrisen zu reduzieren. Ausnahmen für Investitionen – wie sie immer wieder gefordert werden – würden dem Pakt einen Bärendienst erweisen: Sie würden Komplexität und Streitanfälligkeit erhöhen und den Pakt damit schwächen. Darüber hinaus setzen wir uns insbesondere dafür ein, die Verfahren zur Durchsetzung des Regelwerks effektiver auszugestalten. Hierzu gehören geringere Ermessensspielräume, eine objektive Überwachung der Einhaltung und ein regelbasiertes Verfahren für die Ausnahmeklausel. Wir dürfen den dauerhaften Zusammenhalt in der EU nicht gefährden und erteilen deswegen allen Plänen zur Vergemeinschaftung von Schulden in der EU eine klare Absage.
2. Die Woche im Parlament
2.1 Weitere Initiativen unserer CDU/CSU-Fraktion
In erster Lesung beraten wir unseren Antrag Mit steuerlichen Maßnahmen Wärmewende beschleunigen. Im Gebäudesektor ist eine deutliche Steigerung der energetischen Sanierungen notwendig. Nur so können wir die Klimaziele erreichen. Mit unserem Antrag zeigen wir die zahlreichen Hürden im Steuerrecht auf, die der Erreichung dieses Ziels entgegenstehen. Das – sowie zahlreiche weitere Punkte – wollen wir ändern, indem wir insbesondere folgende Maßnahmen fordern: Vermieter neu zu bauender Gebäude sollen eine Sonderabschreibung geltend machen können. Für Vermieter bestehender Gebäude wollen wir die anschaffungsnahen Herstellungskosten reformieren, Selbstnutzer neu zu bauender Gebäude einen Sonderausgabenabzug ermöglichen, für Selbstnutzer bestehender Gebäude die energetische Sanierung überarbeiten, WEGs unter die Stromeigenversorgung des EEG fassen und für alle Steuerpflichtigen steuerliche Erleichterungen bei PV-Anlagen schaffen.
Die Wolfspopulation in Deutschland wächst. Die daraus resultierenden zunehmenden Schäden durch Angriffe auf Weide- und Haustiere rücken weiter in den Vordergrund. Mit unserem Antrag Ausgewogene Balance zwischen dem Schutz von Mensch und Tier sowie dem Artenschutz herstellen – Bejagung des Wolfes im Rahmen eines Bestandsmanagements ermöglichen greifen wir die berechtigten und zunehmenden Sorgen der Weidetierhalter sowie der Bevölkerung in den ländlichen Regionen auf. Im Jahr 2020 wurden rund 4.000 Weidetiere – überwiegend Schafe, aber auch Rinder und Pferde – von Wölfen getötet. Die bisherigen Präventionsmaßnahmen haben nicht die gewünschten Erfolge gebracht. Deswegen brauchen wir jetzt ein aktives Wolfsbestandsmanagement. Konkret wird die Bundesregierung u.a. dazu aufgefordert, den Erhaltungszustand des Wolfes unverzüglich zu definieren und eine rechtssichere Entnahme zu ermöglichen. Nur durch die längst überfällige Bestätigung eines guten Erhaltungszustands der Wolfspopulation in Deutschland sowie durch ein nachhaltiges Bestandsmanagement können die berechtigten Interessen der Bevölkerung, der Weidetierhalter und des Artenschutzes unter einen Hut gebracht werden.
Mit unserem Antrag Bewusste Kaufentscheidungen fördern – Verlässliche und relevante Verbraucherinformation stärken fordern wir bessere Informationen für Verbraucher beim Kauf von Produkten, Dienstleistungen und beim Nutzen digitaler Dienste. Ohne aussagekräftige und verlässliche Informationen können Verbraucher keine bewussten und selbstbestimmten Kaufentscheidungen treffen. Besonders hervorzuheben ist der Vorschlag für mehr Transparenz bei den Kraftstoffpreisen: Die Mineralölunternehmen sollen verpflichtet werden, ihre Preisbestandteile an die Markttransparenzstelle beim Bundeskartellamt zu melden. So kann diese besser einschätzen, ob staatliche Entlastungen tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben werden.
Ehrenamtliche Richterinnen und Richter leisten einen wichtigen Dienst in der Justiz und für die Gesellschaft. Ihr Einsatz ist in der deutschen Rechtsprechung ein wichtiges Element, um die demokratische Legitimation in der Justiz sichtbar werden zu lassen. Sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft. Mit unserem Antrag Schöffenrecht reformieren – Richterliches Ehrenamt stärken, den wir in dieser Woche erstmalig beraten, fordern wir die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Schöffenrecht modernisiert und mit besonderem Fokus auf die nachfolgenden Punkte anpasst. Insbesondere wollen eine Verbesserung der Freistellungsregelungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter in den Blick nehmen, den Kündigungsschutz gemäß § 45 Abs. 1a DRiG verbessern und die Altershöchstgrenze von 70 auf 75 Jahre bei Schöffinnen und Schöffen anpassen.
Gegenwärtig finden im Europäischen Parlament und im Rat der Europäischen Union Verhandlungen zur Europäischen Verordnung für Künstliche Intelligenz statt. Die Bundesregierung ist über den Rat an den Verhandlungen beteiligt. In den kommenden Wochen und Monaten stehen bei dem EU-Gesetzgebungsvorhaben zentrale Weichenstellungen an. In unserem Antrag Europäische KI-Verordnung – Raum lassen für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fordern wir eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir fordern, dass die Bundesregierung sich aktiv und mit einer klaren Linie an den Verhandlungen im Rat beteiligt. Interne Streitigkeiten der Ampel-Regierung haben die Festlegung einer Position im Rat seit Beginn des Jahres immer wieder verzögert. Mit der KI-Verordnung muss ein innovationsoffenes Umfeld in Europa geschaffen werden, um im globalen Wettbewerb bei KI bestehen können.
In dieser Sitzungswoche führen wir eine Vereinbarte Debatte zu den sechs Nachhaltigkeitsprinzipien der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Mit unserem Antrag Nachhaltige Entwicklung krisenfest machen – Schulden abbauen, Infrastruktur stärken, Erneuerbare Energien ausbauen, Ernährung sicherstellen legen wir als Unionsfraktion unsere Vorstellungen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie dar. Nachhaltiges Wachstum erfordert, den wirtschaftlichen Fortschritt vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Geschlossene Stoffkreisläufe sorgen für neue wirtschaftliche Potenziale und schützen unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Als eines der wirtschaftlich leistungsfähigsten Länder der Welt steht Deutschland vor großen Herausforderungen. Zum einen stehen Transformationsprozesse von Gesellschaft und Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und zur Digitalisierung aller Lebensbereiche sowie der Erhalt und Ausbau der Versorgungssicherheit auf der Tagesordnung. Zum anderen haben Krisen wie die COVID19-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen in unserem Land. Mit unserem Antrag richten wir deshalb die klare Forderung an die Bundesregierung, auf einen Weg zurückzukehren, der nachhaltige Entwicklung möglich macht.
2.2 Sonstige Tagesordnungspunkte
Wir beraten mehrere Entwürfe der Bundesregierung mit energiepolitischem Schwerpunkt: Das Zweite Gesetz zur Änderung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes soll die thermische Abfallverwertung (Abfallverbrennung) ab Januar 2023 mit einer CO2-Bepreisung versehen. Dies wäre ein nationaler Sonderweg, denn bisher gibt es für Abfallverbrennung auf europäischer Ebene keine solche CO2-Bepreisung. Die CO2-Bepreisung belastet die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen mit mehreren Hundert Millionen Euro im Jahr zusätzlich. Sie führt zu höheren Müllgebühren. Haushalte mit geringem Einkommen werden dabei überproportional stark belastet. Wir sehen den Entwurf deshalb kritisch. Mit der Verordnung nach § 26 des Energiesicherungsgesetzes über einen finanziellen Ausgleich durch eine saldierte Preisanpassung will die Bundesregierung verschiedene Maßnahmen für eine Vereinfachung des Wechsels von Gas auf andere Energieträger sowie für eine Ausweitung der Stromproduktion aus Photovoltaik und Biogas umsetzen. Mit dem Vierzehnten Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), das wir in erster Lesung beraten, werden Sonderregelungen zur Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen von Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG sowie weitere Verfahrenserleichterungen vorgesehen, wenn das Verfahren in einem Zusammenhang mit der Gasmangellage durchzuführen ist. Hierdurch soll der Brennstoffwechsel in Anlagen ermöglicht und erleichtert werden. Darüber hinaus stimmen wir mit der Verordnung zur Änderung der Gaspreisanpassungsverordnung über Anpassungen bei der Gasumlage ab. Nachdem die Bundesregierung die Umlage in den letzten Wochen gegen unsere begründete Kritik noch massiv verteidigt hat, ist sie nun auf einen kritischen Kurs eingeschwenkt und hat sich unseren Argumenten weitgehend angeschlossen. Wir fordern weiterhin, die Gasumlage unverzüglich aufzuheben.
In erster Lesung beraten wir den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen. Der persönliche Anwendungsbereich dieses Gesetzes soll alle Personen umfassen, die in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erlangt haben. Der sachliche Anwendungsbereich bezieht sich insbesondere auf bestimmte Verstöße gegen europarechtliche Vorschriften, aber auch eine Vielzahl von Verstößen aus anderen Rechtsbereichen. Für hinweisgebende Personen sollen mit internen und externen Meldekanälen zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege vorgesehen werden. Die Pflichten gelten für Unternehmen ab 50 Beschäftigten. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab. Er geht über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. So wird der sachliche Anwendungsbereich auch auf zahlreiche Verstöße in spezialgesetzlichen Rechtsgebieten erstreckt. Hiermit gehen erhebliche zusätzliche Belastungen für die deutsche Wirtschaft einher, die zu Wettbewerbsnachteilen deutscher Unternehmen führen können. Der Gesetzentwurf sollte sich daher auf eine 1:1-Umsetzung beschränken und nur Verstöße gegen die in der Richtlinie genannten EU-Rechtsakte erfassen.
3. Wichtige Termine und Ausblick
- Inland:
- September: Gemeinsame Tagung der Innen- und Justizminister von Bund und Ländern; Schwerpunkt: Kinderschutz im Internet
- Oktober: Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt
- Oktober: MPK mit BK Scholz zum Entlastungspaket III, verschoben vom 28. September
- Außen/EU:
- September: Sondertreffen der EU-Energieminister
- Oktober: Vorgezogene Parlamentswahlen in Bulgarien, Präsidentenwahlen in Brasilien
- Oktober: Parteitag der Tories in Großbritannien