Antworten von Dr. Meister aus der Fragestunde im Deutschen Bundestag vom zum Thema Erbschaftsteuer-Reform

Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Meister.
Wir kommen zur Frage 6 der Kollegin Lisa Paus:
Aus welchen Gründen ist es in dem Referentenentwurf vorgesehen, das neue Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes, ErbStG-E, an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erst mit Verkündung in Kraft treten zu lassen und nicht rückwirkend zum Tag des Urteils des Bundesverfassungsgerichts?
Bitte, Herr Staatssrekretär.
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Paus, das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember vergangenen Jahres ausdrücklich entschieden, dass das geltende Recht bis zu seiner Neuregelung weiter anwendbar ist. Dies betrifft die vom Gericht als unvereinbar mit der Verfassung erkannten Vorschriften § 13 a und § 13 b in Verbindung mit § 19 Absatz 1 Erbschaftsteuergesetz. Gleichzeitig hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die Anordnung der Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltung der §§ 13 a und 13 b Erbschaftsteuergesetz die Anerkennung versagt. Fälle einer exzessiven Ausnutzung sind uns als Bundesregierung bisher nicht bekannt geworden.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Paus.
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie haben bereits darauf hingewiesen, Herr Meister, dass im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich die Rückwirkung bis auf den Urteilstag zulässig ist. Deswegen frage ich Sie, warum Sie eine solche Rückwirkung in Ihrem Referentenentwurf bisher nicht vorsehen.
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil ausgeführt, dass die Anordnung der Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz auslöst. Es hat allerdings auch nicht aufgefordert, auf einen speziellen Zeitpunkt für eine Neuregelung zu setzen. Es hat lediglich eine maximale Frist angegeben, nämlich den 30. Juni 2016; bis zu dem Tag muss eine die verfassungswidrigen Normen ersetzende Regelung spätestens geschaffen sein.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Paus, eine zweite Rückfrage?
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dann frage ich noch einmal: Warum macht die Bundesregierung nicht von der explizit im Urteil formulierten Möglichkeit einer Rückwirkung des Gesetzes Gebrauch? Denn die Formulierung zeigt, dass diese eigentlich gewünscht wird.
Das Zweite ist: Sie haben jetzt gesagt, Ihnen seien keine exzessiven Nutzungen der weiter andauernden, sehr großzügigen Regelungen bekannt. Könnten Sie vielleicht genauer sagen, was „exzessiv“ in Ihren Augen bedeutet? Wie schätzen Sie ein, welche Vorzugseffekte es bisher gegeben hat und wahrscheinlich bis zum 30. Juni geben wird, im Verhältnis zu dem jetzt vorliegenden Referentenentwurf?
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Zunächst einmal ist der Steuervollzug jeweils auf Landesebene angesiedelt. Das heißt, das Erklären der Erbschaftsteuer erfolgt direkt bei der jeweils zuständigen Länderfinanzverwaltung. Aus den Rückmeldungen, die uns die Länderfinanzverwaltungen bisher gegeben haben, können wir nicht erkennen, dass besondere Aktivitäten bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer stattfinden. Das kann eigentlich nur bezogen auf die Schenkungsfälle der Fall sein. Wir haben eher festgestellt, dass nach dem Urteilsspruch vom Dezember vergangenen Jahres eine Beruhigung eingetreten ist. Wir hatten mehr Aktivitäten an dieser Stelle vor der Verkündung des Urteils durch das Bundesverfassungsgericht.
Für die Bundesregierung hat die Frage der Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen eine sehr hohe Bedeutung. Deshalb ist diese gegenüber der Frage abzuwägen, ob eine außergewöhnliche Gestaltung gerade bezogen auf die Paragrafen, die für verfassungswidrig erkannt wurden, stattfindet. Wir können, wie gesagt, bisher diese exzessiven Gestaltungen nicht erkennen und haben deshalb der Frage der Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen eine entsprechende Priorität eingeräumt.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Lisa Paus:
Wie wird das Mehraufkommen von jährlich 200 Millionen Euro begründet, und welcher Anteil des jährlichen Mehraufkommens entfällt jeweils auf die einzelnen Änderungen (Änderungen bei der Freigrenze und beim Verwaltungsvermögen, Einführung eines Wahlrechts nach § 13 c ErbStG-E)?
Herr Dr. Meister, bitte.
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin Paus, das im Referentenentwurf für die Erbschaftsteuerreform ausgewiesene Mehraufkommen wurde unter Verwendung eines Mikrosimulationsmodells der Erbschaftsteuer auf der Grundlage der amtlichen Erbschaftsteuerstatistik geschätzt. Das Mehraufkommen teilt sich wie folgt auf die einzelnen Maßnahmen auf:
Zum Ersten haben wir die Abschmelzregelung im Bereich von 20 Millionen Euro steuerbegünstigter Unternehmenswert bis zu 110 Millionen Euro steuerbegünstigter Unternehmenswert einschließlich des Wahlrechts für eine individuelle Bedürfnisprüfung. Da haben wir in der vollen Jahreswirkung 105 Millionen Euro Mehraufkommen.
Zum Zweiten haben wir den Verschonungsabschlag für Vermögen größer als 110 Millionen Euro, wo lediglich Abschläge von 25 Prozent des begünstigten Vermögens bzw. 40 Prozent des begünstigten Vermögens vorgesehen sind, je nachdem, ob man die Regelverschonung oder die Optionsverschonung wählt. Dort gehen wir von einem Mehraufkommen von 75 Millionen Euro in der vollen Jahreswirkung aus.
Zum Dritten haben wir die Änderung der Lohnsummenregelung für Kleinstunternehmen, also die Unternehmen, die zwischen 4 und 20 Mitarbeiter haben. Dort gehen wir von einem Mehraufkommen von 5 Millionen Euro in der vollen Jahreswirkung aus.
Zum Vierten müssen wir mit Bezug auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Gestaltungsmöglichkeiten und der Tatsache, dass keine 50 Prozent Verwaltungsvermögen mehr bei der Regelverschonung anerkannt werden können, das Thema der begünstigten Vermögen neu fassen. An dieser Stelle erwarten wir Mehreinnahmen in der vollen Jahreswirkung in Höhe von 15 Millionen Euro.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Frau Paus, wollen Sie eine Rückfrage stellen? – Es sieht so aus. Gut.
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie hatten jüngst auf meine Kleine Anfrage zur Erbschaftsteuer geantwortet – diese Antwort bezog sich noch auf die Eckpunkte, nicht auf den Referentenentwurf –, dass, wenn die Eckpunkte gelten – damals war noch nicht von einer zusätzlichen Verschonungsregel die Rede, sondern nur von der Freigrenze von 20 Millionen Euro für Betriebsvermögen, unterhalb der man steuerfrei bleibt und oberhalb der eine Bedürfnisprüfung stattfindet –, nicht „nur“ 98 Prozent, sondern nach einigen Jahren über 99 Prozent der Erbfälle nach wie vor steuerfrei bleiben. Mittlerweile haben Sie weitere Begünstigungen eingeführt. Können Sie mir heute erklären, warum eine Verschonung von 99,3 Prozent – durch die von Ihnen jetzt eingeführte zusätzliche Vergünstigung liegt die Verschonung wahrscheinlich bei 99,9 Prozent – nicht verfassungswidrig sein soll, wenn eine Verschonung von 100 Prozent aus Sicht des Verfassungsgerichts verfassungswidrig ist?
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Dr. Meister.
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht hat nicht den Verschonungsgrad von 100 Prozent, den der Gesetzgeber für die Optionsregelung vorgesehen hat, kritisiert – dazu ist im Urteil ausdrücklich nichts gesagt worden –; vielmehr hat es deutlich gemacht, dass bezogen auf Artikel 3 Grundgesetz Folgendes gilt: Wenn ein Unternehmen in dem Teil, der verschonungswürdig ist, wächst, dann wird auch die Summe an reduzierter Steuer mit zunehmendem Unternehmenswert größer. Daraus hat das Bundesverfassungsgericht geschlussfolgert, dass mit zunehmender Größe eines Unternehmens eine besondere Rechtfertigung gegeben sein muss. Es reichen also nicht allein die Rechtfertigungsgründe, die der Gesetzgeber vorher geschaffen hat – Erhalt von Familienunternehmen, Unternehmensweiterführung, Erhalt der Arbeitsplätze –; vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht auch deutlich gemacht, dass ab einer gewissen Größe das Volumen der steuerlichen Verschonung so stark wird, dass eine zusätzliche Begründung des Gesetzgebers notwendig wird.
Wir haben in unseren Eckpunkten eine individuelle Bedürfnisprüfung ab einer Grenze von 20 Millionen Euro begünstigtem unternehmerischen Vermögen vorgesehen. Wir haben das Ganze jetzt modifiziert; wir haben es mit einem Wahlrecht versehen. Jetzt kann entweder eine individuelle Bedürfnisprüfung stattfinden, oder der Verschonungsgrad kann abgeschmolzen werden. Wir gehen davon aus, dass wir mit dieser Neufassung eine verfassungsfeste Lösung vorschlagen.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Danke schön. – Frau Paus, Sie haben das Wort zu einer zweiten Zusatzfrage.
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nach der bisher geltenden, aber inzwischen für verfassungswidrig erklärten Regelung ist es nach Ihren eigenen Statistiken ja so, dass die Erbschaftsteuer bisher von der Mittelschicht gezahlt wird. Der entsprechende Steuersatz liegt zwischen 10 und 15 Prozent. Wegen der großzügigen Verschonungsregelung für das Betriebsvermögen der besonders Wohlhabenden in diesem Lande gilt für sie ein Erbschaftsteuersatz von effektiv zwischen 1,8 und 2,3 Prozent.
Im Urteil des Verfassungsgerichts wurde explizit darauf abgestellt, dass es darum geht, zwischen dem -Gemeinwohlanteil des Unternehmens und der Bedürfnisprüfung des Unternehmers zu trennen. Das Bundesverfassungsgericht hat also eindeutig klargestellt, dass man nicht den Unternehmer schützen will, sondern das Unternehmen. Vor diesem Hintergrund haben Sie selber in Ihren Eckpunkten explizit und sehr klar formuliert, dass es eine individuelle Bedürfnisprüfung geben muss, die an adäquater Stelle ansetzt. Können Sie mir begründen, wie der Referentenentwurf dieser Anforderung des Verfassungsgerichtes in Bezug auf die Bedürfnisprüfung und die Leistungsfähigkeit des einzelnen Erben jetzt noch Rechnung trägt?
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Herr Dr. Meister, bitte.
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:
Zunächst einmal: In unserem jetzigen Erbschaftsrecht gibt es keine Begünstigung von Wohlhabenden gegenüber weniger Wohlhabenden. Vielmehr hat der Gesetzgeber im Jahre 2008 mit Gültigkeit ab 2009 entschieden, dass er unternehmerisches Vermögen in besonderer Weise im Hinblick auf Bestand und Erhalt der Arbeitsplätze begünstigen will. Das hat nichts mit der Frage zu tun, wie wohlhabend der jeweilige Erbe oder Erblasser ist.
Wir haben in unseren Eckpunkten eine mögliche Lösung für die Probleme rund um das Thema „größere Unternehmensvermögen“ vorgeschlagen; das ist die von Ihnen angesprochene individuelle Bedürfnisprüfung. Die individuelle Bedürfnisprüfung in unveränderter Form ist nach wie vor Gegenstand des Referentenentwurfs. Wir haben allerdings eine Wahloption, also ein Wahlrecht, eingebaut. Dieses Wahlrecht ist im Gegensatz zur -Bedürfnisprüfung mit einer Reduzierung des Verschonungsgrads verbunden. Das heißt, wenn man diese -Option wählt, wird man von der Zahlung der Erbschaftsteuerschuld weniger verschont, als wenn man sich auf die Bedürfnisprüfung einlässt.
 Ich glaube, das ist dem Erben gegenüber ein faires Angebot. Er kann entscheiden, ob er eine umfangreiche Darlegung seiner privaten Vermögensverhältnisse leisten will oder ob er lieber auf einen Teil der Verschonung verzichtet und einen geringeren Erlass der Erbschaftsteuerschuld in Kauf nimmt.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Danke schön, Dr. Meister. – Ich sehe dazu keine weiteren Fragen.

Kalender – Kommende Termine

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